6. Eine ideale Hausorgel

Eine ideale Hausorgel

Angeregt durch die Würdigung der Anton-Heiller-Orgel in der Fachzeitschrift „Singende Kirche“ I/2004 soll im Folgenden eine Hausorgel vorgestellt werden, bei der der Autor den Bauherrn beraten hat.
Die Vorbedingungen für diese Orgel waren: Ein zweimanualiges Werk, das die Wandfläche (die Breite) eines Klaviers (150 cm) und die Grundfläche eines Stutzflügels mit der Tiefe von 140 cm nicht überschreiten sollte. Die absolute Bauhöhe der Orgel wurde auf 2,40 m beschränkt. Weiters wurde ein staubdichtes Gehäuse gefordert. Die Orgel sollte keinen Prospekt mit Zinnpfeifen haben, da in dem Haushalt mehrere kleine Kinder sind. Der so projektierte Kubus der Orgel ließ wohl im ersten Überschlag kaum mehr als 5 Register zu. Dem standen aber weitreichende Ansprüche des Bauherrn an die Disposition gegenüber: diese Orgel sollte in möglichst süddeutscher Klanggestalt zugleich Übe- und Spielorgel sein.

Als Übeorgel wünschte man sich eine Klanglichkeit, die auch langes Üben in der Hausgemeinschaft ermöglicht, ohne dass die Mitbewohner belastet werden. Musikalisch soll die Übeorgel neben einem Grundstimmenspiel noch ein klassisches Triospiel und ein einfaches cantus-firmus-Spiel ermöglichen.

Zugleich auch Spielorgel zu sein, heißt, dass nach dem Üben auch einmal „richtig Orgel“ gespielt werden kann: Dass also klassischer Plenumklang, Terrassendynamik auf den Stufen Piano/Forte/Fortissimo und Farbigkeit beim cantus-firmus-Spiel vorhanden sind. Ein wichtiger Punkt war auch, dass das fünfstimmige Spiel auf zwei Manualen nach Nikolaus de Grigny möglich sein sollte. Denn Grigny wird vom Bauherrn sehr geschätzt, weil Grigny einer der wenigen Komponisten sei, der eine originäre organale Satzweise erfunden habe.
Die einzelnen Wünsche an die Klanglichkeit waren:
Pianospiel auf beiden Manualen.
Darstellung von Echo und Terrassendynamik auf den Stufen Piano/Forte/Fortissimo.
Klar zeichnendes Kantionalsatzspiel.
Cantus firmus 4′ im Pedal.
Cantus firmus 2′ im Pedal.
Triospiel, auch als
Cantus firmus Tenor,
Cantus firmus Sopran,
Cantus firmus im Bass (Pedal).
Darstellung von Musik des 19. Jahrhunderts.
Organo pleno.

Eine theoretisch-klangliche Realisation dieser Anspruchsliste wurde dann mit verschiedenen geringstimmigen Hausorgeldispositionen aus der Literatur ausprobiert – welche Register stehen für die angestrebte Klanglichkeit zur Verfügung? Schnell wurde klar, dass viele Hausorgel-Dispositionen, wenn sie sich – selbstverständlich mit Auslassungen – am Werkprinzip orientierten, ungeeignet waren.
Allmählich stellten sich diese notwendigen Eckpunkte heraus: a) Ein selbstständiges Pedal auf tragfähiger, grundtöniger 8′-Basis, b) eine 8′ Grundstimme in einem Manual und c) eine 8′ Zunge für die cantus-firmus-Farbigkeit und für den Grigny-Satz. Das hatte Folgen für die Bauweise: Da die Zunge leicht zugänglich und ohne Tastenhalter zu stimmen sein sollte, kam für sie nur der vorderste Platz auf der Lade in Frage.

Wegen der Trakturführung war es zunächst naheliegend, die Disponierung der Zunge in das II. Manual zu legen. Dies stellte sich aber nach einigen theoretischen Registrierungen als Irrweg heraus.
Nur die Positionierung der Zunge im I. Manual brachte die gesuchte Lösung der Kombination einer Übe- und Spielorgel voran. Es ergab sich diese Grunddisposition: II. Manual Grundstimme 8′; I. Manual Zunge 8′; Pedal Grundstimme 8′.
Selbst diese kleine Disposition ist für vieles geeignet: ein leises Üben auf zwei Manualen, weil die Grundstimme 8′ mit der Manualkoppel auf beiden Manualen spielbar ist. Auch ein klassisches Trio kann geübt werden und es ist eine cantus-firmus-Führung durch die Zunge möglich. Eine tragfähige 8′-Stimme im Pedal ist musikalisch befriedigender als ein enges, hauchiges 16 ‚-Bassregister. Durch das eigenständige Pedal treten keine Klanglöcher auf. (Beispiel: Johann Sebastian Bach, Orgelbüchlein, „Vater unser im Himmelreich“ ist mit angehängtem, gekoppelten Pedal nicht darstellbar.)

Nun konnten mit Blick auf die anderen Klangwünsche verschiedene Dispositionsvarianten durchprobiert werden. Am Ende der Überlegungen stand diese:

I. Manual: stiller Dulzian 8′ – Flaut 4′ – Zimbel zweifach ⅔‘
II. Manual: Gemshorn 8′ – Viol 4′ – Prinzipal 2′
Pedal: Bordun 8′
Koppeln: II-I; I-Ped; II-Ped.

(Ein kleiner Hinweis, der aber nur bei kleinen Orgeln möglich ist: die Mundstellung der Registernamen im Zusammenhang mit den Vokalen zeigt in bestimmter Weise die Mensurierung der Register an).
Auffällig ist das Fehlen der typischen Kurzbau-Hausorgelregister wie Gedackt 8′ (4′) Rohrflöte 4′ (8′) Quintade 8′ bzw. 4′. Aufgrund ihres ungeradzahligen Teiltonaufbaus sind sie bei längerem Solospiel (stundenlanges Üben) wenig anregend und wenn sie zu eng sind, sind sie nicht verschmelzungsfähig. Anscheinend leiten offene Register andere neuronale Prozesse ein, die – wie beim Klavier- und Cembalospiel – den Geist frisch halten, ja anregend wirken. Daher wurde als Grundregister der Orgel ein Gemshorn 8′ (C – d° gedeckt) disponiert. Der Klang des Gemshorns ist zurückhaltend und sanft streichend. Die Viol 4′ verschmilzt gut mit dem Gemshorn 8′, deshalb ist auch Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ansprechend zu spielen. Der Prinzipal 2′ ist scharf und glänzend, aber nicht zu stark intoniert. Als Zungenregister wurde der als Manualregister fast vergessene Dulzian 8′ mit normaler Becherlänge gewählt (C-A halbe Länge; Länge bei c°: 680 mm). Der Dulzian ist stilistisch breiter einzusetzen als ein Regal. Dieses Register bringt zugleich die ungeraden Teiltöne in die Orgel ein und kann aufgrund der langen Becher und des Deckels bis zum hohen Diskant in der Tongebung sehr gut ausgeglichen werden. Zugleich wurde dieses Register in einen eigenen Schwellkasten (Dämpfungsmaterial Sand) gestellt, ähnlich dem Echo des barocken südwestdeutschen /ostfranzösischen Bereichs. Die sinfonische französische Orgelmusik und ihr stilverwandtes des 19./20. Jahrhundert sind mit dem Jeux d‘ anche dieser Hausorgel klanglich überzeugend darzustellen. Crescendi sind durch den Schweller in einem bescheidenen Maße möglich.
Die Flaut 4′ (C-Ds gedeckt) ist ab c° aus Birnbaum und bei schmaler Labierung sehr weit mensuriert. Sie entwickelt einen starken Grundton und kann daher auch längere Zeit voll befriedigend allein gespielt werden. Klangkrone ist eine zweifache Zimbel (⅔‘), die sehr gut mit dem Dulzian verschmilzt. Auch die Flaut trägt diese Zimbel sehr gut. Der Klang der Orgel tritt über die Schlitze neben dem Nussbaum-Holzpfeifenprospekt (Flaut 4′, E-H) in den 65 qm Raum. Die unsichtbaren Schwelltüren zum stillen Dulzian liegen hinter dem Schnitzwerk in der Frontpartie. Das Pedalregister wurde liegend unter dem Pedalpodest eingebaut.

Wenn man jetzt mit einem bestimmten Abstand auf diese Arbeiten sieht, stellt man fest, dass die klangliche Effizienz dieser Hausorgel im Grunde genommen auf der Kombination zweier Positive zweier Epochen beruht: eines des ausgehenden 18. Jahrhunderts und eines der Renaissance. Deren Drei-Register-Erfolgsrezept lautete: Erzielung paariger Verschmelzung (II: 8’+4′; 4’+2′. I: 8’+4′; 8’+Zimbel;) und paariger Mischung (II: 8’+2′; I: 4’+Zimbel) durch richtige Disposition und Mensurierung der Register.

Heinz-Walter Schmitz

Veröffentlicht on 12. Dezember 2010 at 18:32  Kommentar verfassen  

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